Mit dem Finger auf andere zeigen…

das macht man nicht, oder?!
Johannes der Täufer schon. Jedenfalls auf der weitberühmten Darstellung des Flügelaltars, der im Museum Unterlinden im elsässischen Colmar zu bewundern ist. Atemberaubend, dieses Kunstwerk „live und in Farbe“ zu bewundern – das lohnt sich! Unter dem Kreuz steht Johannes der Täufer mit einer Bibel in der Hand und zeigt auf den, der am Kreuz hängt: Jesus. Eine gebundene Bibel gab es zur Zeit der Kreuzigung Jesu nicht. Auch Johannes gab es da nicht mehr; er war schon Jahre vorher hingerichtet worden. Und als er noch lebte, hatte er sicher nicht so einen überlangen Zeigefinger. Das alles wusste Matthias Grünewald, in dessen Werkstatt dieses unglaubliche Kunstwerk zwischen 1512 und 1516 entstanden ist. Doch es ging ihm um die Ausdruckskraft dieser Symbolik. Alles soll den Blick darauf lenken, dass Jesus am Kreuz leidet und stirbt. Wir Betrachter sollen daran denken, dass Jesus unse Schuld und Sünde, unser Leiden und Sterben quasi stellvertretend mit ans Kreuz nimmt, um uns davon zu befreien. Und wir sollen verstehen, dass Gott unsere Krankheiten und Schmerzen, unsere Sorgen und Nöte kennt und versteht – denn in seinem Sohn Jesus Christus hat Gott das alles selbst durchlebt.

Bestimmt war der Flügelaltar mit drei aufklappbaren Ebenen für das Antoniterkloster in Isenheim, das sich vor allem der Krankenpflege verschrieben hatte. Behandelt wurden Menschen, die vom „Antoniusfeuer“ befallen waren – ausgelöst durch eine Mutterkornvergiftung. Die Kranken wurden vor den Altar gebracht und sollten Trost finden in den eindrucksvollen Darstellungen des Leidens Jesu und der Märtyrer. Neben anderer Heilungsmethoden war das Meditieren über diese Bilder Bestandteil des Therapieansatzes. Sie sollten verstehen: „Gott kennt meinen Schmerz und mein Leid. Und: Gott hat seinen Sohn das alles durchleiden lassen, ihn dann aber durch die Auferstehung das Leben geschenkt. Er wird sich auch meiner erbarmen.“
Das ist das Evangelium, die gute Nachricht. Darauf kann man immer wieder hinweisen, ja, darauf muss man immer wieder zeigen. Wenn nötig, auch mit dem Finger!