Predigt vom 22. März 2020 zum Wochenspruch

„Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.“ (Johannes 12,24)
Liebe Gemeinde,
dieser Bibelvers, der seit alters her als Motto für diese Woche der Passionszeit ausgesucht ist, erzählt von Sterben und neuem Leben. Jesus bereitet seine Freunde und Mitstreiter darauf vor, dass er bald nicht mehr unter Ihnen sein wird. Ja, er bereitet sie darauf vor, dass er demnächst sterben wird. Die Jünger wollen nicht, dass es so kommt. Alles soll so bleiben, wie es ist. „Bitte keine Veränderung“, sagen sie. Warum kann es denn nicht – wie der Odenwälder sagt – „ als so weider“ gehen? „Es is doch schei, un es war doch schon imma sou.“ Aber nein, Dinge verändern sich. Und manchmal muss man Liebgewordenes loslassen um etwas Anderes, vielleicht viel Besseres gewinnen zu können.
Jesus macht es mit einem Bild deutlich. Das Weizenkorn wird in die Erde gelegt, damit daraus Neues erwachsen kann. Das Korn selbst wird dabei nicht erhalten bleiben, es geht kaputt. Damit Neues entstehen kann, muss das Alte Platz machen, sich verändern, verschwinden.

Ich habe den Eindruck, dass das gerade im großen Stil passiert. Altes, Gewohntes bricht weg, geht kaputt. Was vor wenigen Tagen noch selbstverständlich war, gilt jetzt nicht mehr. Vieles, was wir überhaupt nicht in Frage gestellt haben, ist jetzt nicht mehr da. Die rapide Ausbreitung des Corona-Virus sorgt dafür, dass unser Alltag sich massiv verändert hat. Manche Menschen haben keine Arbeit mehr, andere so viel zu tun wie nie zuvor. Persönliche Kontakte gibt es fast gar keine mehr. Dafür wird geschrieben, telefoniert und per Video konferiert. Dinge, die ich gestern noch selbstverständlich getan und unternommen habe, sind heute nicht mehr möglich. Fast alle Bereiche unseres gesellschaftlichen Lebens werden gerade auf den Prüfstand gestellt.
Niemand von uns wollte das. Freiwillig würden wir das so nicht machen. Und doch ahnen wir: es wird Neues, Anderes daraus entstehen. Unser Land, unsere Welt wird nicht so bleiben, wie sie war. Und das muss und wird nicht nur schlecht sein. Was alle Debatten um den Klimaschutz nicht erreichen konnten, wird vielleicht passieren: die Schöpfung bekommt eine Atempause. Menschen werden vielleicht in einer Art und Weise wieder in Beziehung treten, wie das eigentlich längst verloren schien. Die Frage danach, was wirklich wichtig ist im persönlichen und gesellschaftlichen Leben, wird jetzt sicherlich ganz neu beantwortet. Lücken im politischen System, im Gesundheitswesen, in der alltäglichen Versorgung der Menschen werden jetzt sichtbar und für die Zukunft hoffentlich geschlossen. Und ja, wir werden wieder neu lernen, dass „mein Haus, mein Auto, meine Badewanne“ doch nicht ausreicht, um den Sinn des Lebens zu beschreiben.
Wir sind mitten in der Passionszeit. Seit den Anfängen der Christenheit wurden diese Wochen dafür genutzt, bewusst auf Liebgewordenes und Alltägliches zu verzichten, um sich anschließend umso mehr freuen zu können. Was wir dieses Jahr erleben ist eine Passionszeit der sehr besonderes Art. Verordnet wurde uns ein allumfassender Verzicht. Dieser Verzicht wird eine Zeit andauern, aber er wird ein Ende finden. Und dann werden wir wieder das Leben, die Schöpfung und den Schöpfer feiern wie nie zuvor. Was wird das für ein Osterfest sein! Selbst wenn es etwas später stattfindet als wir es in unserem Kalender eingetragen haben. Dann werden wir neu verstehen, was Jesus meint mit dem Weizenkorn, das sterben muss um neue Frucht zu bringen. Und dann werden wir neu erkennen, dass der Osterruf „Der HERR ist auferstanden, ER ist wahrhaftig auferstanden!“ kein ritueller Spruch vergangener Tage ist, sondern aus tiefsten Herzen den Sieg des Lebens über den Tod feiert.
Bleiben Sie behütet. Und seien Sie gespannt auf das, was kommt!
Amen.